Bei Neosprech gibt es einen sehr interessanten Eintrag zum Modell Tietmeyer:
Das „Modell Tietmeyer“ steht weiterhin für eine gewisse Anzahl von nicht weiter diskutierten Zielen (wie sie in den augenscheinlich neutralen Konzepten der Theorie stillschweigend niedergeschrieben wurden), als da sind: höchstmögliches Wachstum, Wettbewerb, Produktivität. Außerdem für ein Menschheitsideal, dem nichts Humanistisches eigen ist: das Ideal eines überarbeiteten Managers, auf Kalkül und Karriere bedacht, der je nach Bedarf wohlmeinende Reden über „Verlust an sozialer Bindung“ und die Einsamkeit der Ausgeschlossenen halten kann. Er kleidet eine Wirtschaftspolitik in schönfärberische Worte – „Sozialplan“ für Massenentlassungen, „treibende Kräfte„ für die Unternehmerschaft, „Deregulierung“ für einen wilden Kapitalismus -, die, neben anderen Folgen, womöglich eine Zivilisation zerstört, die mit der Entstehung des Staates, dieser entschieden modernen Idee, verbunden ist.
Zur Erinnerung: Prof. Dr. Hans Tietmeyer ist der Vorsitzende des Kuratoriums der neoliberalen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), die einen mehr oder weniger großen Anteil daran hat, dass die Bürger Deutschlands in den vergangenen 10 Jahren von der Politik belogen, betrogen und ausgebeutet wurden, während Arbeitgeber und Kapitalisten auf Kosten der Allgemeinheit beschenkt wurden – Umverteilung von unten nach oben. Zuvor war Tietmeyer Präsident der Deutschen Bundesbank.
Das beschriebene „Menschheitsideal“ im Modell Tietmeyer klingt nach dem homo oeconomicus, einer Modellvorstellung der Wirtschaftstheorie, die ansonsten mehr mit einem Soziopathen zu tun hat als mit einem geistig gesunden Menschen in einer solidarischen Gesellschaft. Nun könnte man natürlich vermuten, dass Hans Tietmeyer den homo oeconomicus zu seinem persönlichen Ideal auserkoren hat und somit die Persönlichkeit eines Soziopathen anstrebt oder diese bereits besitzt. Spitzere Zungen würden ihm vielleicht eher die Bezeichnung Kapital- oder Wirtschaftsfaschist zuweisen. Beide Möglichkeiten wären meines Erachtens realistisch. Nicht umsonst geriet er schon als Staatssekretär 1988 in das Visier der RAF:
Tietmeyer ist Stratege und einer der Hauptakteure im internationalen Krisenmanagement, der auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene die ökonomische Krise des imperialistischen Systems beherrschbar machen und den Zusammenbruch des Wirtschafts- und Finanzsystems verhindern will.
Er hat zentrale Funktionen in der Formulierung, Koordinierung und Durchsetzung imperialistischer Wirtschaftspolitik – es gab in den letzten Jahren keine wichtigen wirtschafts- oder währungspolitischen Entscheidungen, an denen er nicht maßgeblich beteiligt war.
Er ist verantwortlich für Völkermord und Massenelend in der 3. Welt.
Als Delegierter bei IWF und Weltbank, GS- und G7-Treffen, Weltwirtschaftsgipfeln (die er seit 1982 als Beauftragter der Regierung vorbereitet hat) entwickelt und forciert er die imperialistische Politik der Vernichtung durch Hunger und Counterinsurgency gegen die Völker in den abhängigen Ländern im Süden – eine Politik, die für die Mehrheit der Menschen Tod und Elend bedeutet, um dem internationalen Kapital Profit und Macht zu sichern.
Er ist verantwortlich für die Verschärfung von Ausbeutung, Verelendung und Unterdrückung in Westeuropa.
Kaum zu glauben, dass dieser Text aus den 80ern stammt, denn man könnte ihn meines Erachtens womöglich auch heute noch – ein wenig aktualisiert – zur zutreffenden Charakterisierung von Hans Tietmeyer heranziehen. Verklemmte Maschinenpistolen können eben echt ärgerlich sein, nicht wahr?
Doch nicht nur die RAF nahm Tietmeyer ins Visier, auch Helmut Schmidt – des Terrorismus völlig unverdächtig – schrieb im November 1996 einen offenen Brief an Hans Tietmeyer, welcher in der ZEIT veröffentlicht wurde. Offenbar war Tietmeyer schon damals kein besonderer Freund der Demokratie und versuchte die Deutsche Bundesbank als Staat im Staate zu etablieren:
Sehr geehrter Herr Tietmeyer, Sie haben sich auch früher schon bisweilen ökonomisch und politisch geirrt. Irren ist menschlich; niemand, der keine Irrtümer begangen hätte. Immerhin sollten drei Ihrer Irrtümer Sie zur Überprüfung Ihrer Positionen anregen:
Erstens: Sie haben 1982 das sogenannte Lambsdorff-Papier entworfen, das den Zweck hatte, über eine zugespitzte ökonomische Kontroverse innerhalb der regierenden Koalition diese zu beenden und die CDU/CSU an die Regierung zu bringen. Tatsächlich ist seither die öffentliche Gesamtverschuldung auf das Vierfache gestiegen, die Steuer- und Abgabenlast ist höher als jemals, vor allem hat die Arbeitslosigkeit ein unerhörtes Maß erreicht – lediglich die Inflationsrate ist geringer als 1982, als sie infolge der beiden Opec-Ölpreisexplosionen vorübergehend höher war. Müßten Sie nicht zugeben, daß Ihre und Lambsdorffs Erwartungen keineswegs eingetroffen sind?
Zweitens: Sie trugen im Frühjahr 1990 als persönlicher Berater des Kanzlers für Fragen der Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft mit der DDR hohe Mitverantwortung für schwere Fehler und utopische Versprechungen. Müßten Sie nicht heute zugeben, daß die mehr als hundertprozentige Aufwertung der Mark Ost eine der Hauptursachen für den Zusammenbruch der alten DDR-Industrie war? Oder daß das Versprechen, keinerlei Steuererhöhungen würden nötig werden, bodenloser Unfug war? Und ebenso die Verheißungen „blühender Landschaften“ und westdeutscher Löhne im Osten binnen vier Jahren?
Drittens: Sie waren führend beteiligt an den Zinserhöhungen der Bundesbank, die nach 1990 den Geldmengenstoß wieder einfangen sollten. Sie waren beteiligt an der regelwidrigen Verweigerung einer dadurch notwendig gewordenen Anhebung der D-Mark-Wechselkurse innerhalb des Europäischen Währungssystems (EWS), an dessen totaler Verwässerung, indem die zulässigen Bandbreiten für Wechselkursschwankungen auf das mehr als Sechsfache erweitert wurden. Damit waren Sie zugleich beteiligt daran, daß dem Maastrichter Kriterium „Einhaltung der normalen Bandbreiten des EWS“, gerade erst beschlossen, die Grundlage entzogen wurde. Müssen Sie nicht heute zugeben, daß damit der Ecu de facto abgeschafft wurde, welcher an den Finanzmärkten der Welt gut eingeführt und für die Währungsunion hervorragend geeignet war? Ein böser Fehler!
Ein feiner Kerl, dieser Hans Tietmeyer von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), nicht wahr? Wenn eine solche Person vorgibt, das Soziale oder die soziale Marktwirtschaft neu definieren zu wollen, sollten die Bürger Deutschlands hellhörig werden und ganz genau hinschauen. Denn hinter großen Vermögen stehen häufig große Verbrechen, große Verbrecher und deren Helfershelfer. In welche Kategorie Tietmeyer einzuordnen sein könnte, kann der geneigte Leser nach der Lektüre des vollständigen Briefes von Helmut Schmidt an Hans Tietmeyer vielleicht selbst entscheiden.
Wenn dann Papst Benedikt XVI. darüber nachdenkt, Hans Tietmeyer als Chef der Vatikanbank einzusetzen, so erzeugt dies bei mir eine gewisse Abscheu und Ekel. Gerade dann, wenn man die katholische Kirche immer zur Bekämpfung der Armut in der Dritten Welt schwadronieren hört und Tietmeyer womöglich einer von denen ist, die an der Situation dort nicht ganz unschuldig sind. Vielleicht wäre es auch einmal interessant, das Geschäftsverhalten der Vatikanbank zu analysieren, ob diese möglicherweise von Geschäften mit der Dritten Welt in einer Art und Weise profitiert, dass der Vatikan gar kein Interesse daran haben könnte, an der Armut dort wirklich etwas zu verändern. Dies wiederum könnte erklären, warum die katholische Kirche sich bisher mit so ziemlich jedem Regime auf der Welt zum eigenen Vorteil arrangieren konnte: weil da vielleicht der eigene materielle Vorteil wichtiger ist als jede christliche Ethik, die eh zu einer Farce verkümmert ist.
Die Zusammenarbeit der katholischen Kirche mit Hans Tietmeyer scheint ohnehin eine gewisse Tradition zu haben. Zusammen mit Paul Kirchhof war er maßgeblich an der Formulierung des Impulstextes der katholischen Bischöfe mit dem Titel Das Soziale neu denken beteiligt, welcher über weite Strecken eine neoliberal geprägte Analyse eines Reformstaus und die Kritik an einem angeblich unüberschaubaren Dickicht von Transferleistungen enthält.
Wie man sieht, scheint das wirtschaftsfaschistische Modell Tietmeyer inzwischen in viele Bereiche der Gesellschaft vorgedrungen zu sein. Zeit, ihm die Tentakeln abzuschlagen und weder Tietmeyer, noch seinen Helfershelfern von der INSM weiter auf den Leim zu gehen.
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