So oder so ähnlich schwadroniert derzeit Hans Tietmeyer auf der Website der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM):
Die aktuelle Steuerschätzung zeigt: Die Steuereinnahmen für Bund, Länder und Gemeinden sprudeln kräftig. Höchste Zeit, um den Haushalt zu konsolidieren und die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken.
Was hat die Konsolidierung des Haushalts mit einer angeblich notwendigen Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu tun? Eben, nichts. Im Gegenteil. Wenn die Beiträge weiter gesenkt werden, müssen die staatlichen Ausgaben für Arbeitslose und andere Hilfebedürftige entweder mit Zuschüssen aus Steuereinnahmen subventioniert oder gekürzt werden. Wenn man der Konsolidierung des Haushalts eine hohe Priorität einräumt, dann bliebe letztlich nur die Reduzierung der Leistungen fürArbeitslose und andere Hilfsbedürftige als Folge. Aber das wäre ja unpopulär und würde Hans Tietmeyers Verachtung für sozial Schwache offenbaren. Fassen wir also zusammen: Hans Tietmeyer und seine INSM-Vasallen fordern, dass man bei den Arbeitslosen und allen Hilfsbedürftigen noch weiter kürzt. Zwar wurde der Regelsatz des ALG2 im Jahr 2004 mit Daten zu den Lebenshaltungskosten aus dem Jahr 1998 festgelegt und seitdem nicht erhöht, während die Gewinne an den Geldmärkten explodieren, aber das macht dem Ex-Präsidenten der Deutschen Bundesbank ja nichts. Es muss ihn ja wirklich schwer belasten, dass die Arbeitslosen ab dem 01. Juli 2007 ganze 2 Euro mehr bekommen sollen, anstatt weniger.
Tietmeyer weiter:
Dies wäre der richtige Schritt zur Entlastung der Bürger und eine Kompensation für die Mehrwertsteuererhöhung Anfang des Jahres.
Wer wird denn so bescheiden sein, Herr Tietmeyer? Die Entlastung der Bürger ist Ihnen doch vollkommen egal. Im Übrigen würde eine Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auch die Leistungen im Falle der Arbeitslosigkeit sinken lassen. Aber das wäre ja für die Arbeitgeber, die Hans Tietmeyer und die INSM vertreten, ein wunderbares Druckmittel für weiteres Lohndumping und die Erhöhung der Wochenarbeitszeiten ohne Lohnausgleich. Aber es kommt noch besser: Die Unternehmen und Konzerne würden, abhängig von der Zahl der Arbeitnehmer, jede Menge Geld sparen. Geld, das sie dann wunderschön in Form steigender Renditen an den Geldmärkten erbrechen könnten wie die Bienen den Nektar im Bienenstock. Die Bienen nehmen ja auch von ganz vielen Blumen den Nektar auf und spucken ihn in die Waben. Einziger Unterschied: Die Blumen überleben problemlos und durch die Bestäubung wird die nächste Generation gesichert. Anders bei den Menschen: Sie werden ausgeplündert und sterben im Zweifelsfall wie der verhungerte Arbeitslose in Speyer, damit es Hans Tietmeyer und seinen Freunden bei der INSM und an den Kapitalmärkten noch besser geht. Das nennt sich gemeinhin Umverteilung von unten nach oben, die eigentliche Forderung Tietmeyers.
Hans Tietmeyer führt weiter aus:
Natürlich belastet es die Binnennachfrage kurzfristig, wenn der Staat Ausgaben kürzt. Aber mittel- und langfristig ist es besser, wenn der Staat auf seine Ausgaben achtet und seinen Haushalt in Ordnung hält. Ein Staat, der sorgsam wirtschaftet, schafft Vertrauen bei den Investoren und verbessert damit die mittel- und langfristige Perspektive auf neue Arbeitsplätze und neues Wachstum.
Welche Binnennachfrage meint Tietmeyer denn? Das Häufchen Elend, das in Deutschland vorrangig von den Arbeitnehmern, dem Staat und den kleineren Unternehmen inklusive den Familienunternehmen und Teilen des Mittelstands generiert wird? Jene Binnennachfrage, welche die multinationalen Konzerne und Exportweltmeister nicht im Geringsten interessiert? Die Folgen dieser Kürzung, nämlich die wachsende Verarmung und Verelendung von Millionen Menschen in Deutschland, erwähnt Hans Tietmeyer hingegen nicht. Das wäre nicht ganz so schick. Natürlich verschweigt Tietmeyer auch etwas, das ihm selbst jeder BWL-Student im Grundstudium um die Ohren hauen würde: dass es für eine Konsolidierung immer zwei Hebel gibt. Der eine Hebel sind die Ausgaben, der andere Hebel sind die Einnahmen. Warum ein Ex-Bundesbankpräsident lediglich auf die Ausgabenseite verweist, das wissen wohl nur er und seine Spießgesellen bei der INSM. Denn die Konsolidierung des Haushalts ginge wesentlich besser und schneller, wenn der Staat die Lasten wieder solidarischer verteilte. Sie wissen schon, solche Dinge wie „Breite Schultern sollen mehr tragen als schmale Schultern.“ Was läge also näher, als die Unternehmen und da insbesondere die Exportweltmeister, welche derzeit an den Kapitalmärkten ein Füllhorn nach dem anderen für Aktionäre und Fonds weltweit ausschütten, auch ihr Scherflein zur Konsolidierung des Haushalts beitragen zu lassen? Aber wie war das noch im Bunestag neulich: „Die Wünsche der Wirtschaft sind unantastbar.“ Dieser Sentenz fühlt sich offenbar auch Hans Tietmeyer verpflichtet, wenn er eine zunehmende Verarmung und Verelendung der Bevölkerung zugunsten der Wirtschaft fordert.
Und weiter:
Für Investitionen entscheidend ist eben nicht nur die aktuelle Nachfrage, sondern die Perspektive für die weitere Entwicklung der Standortbedingungen. Richtig betriebene Konsolidierungspolitik muss mit dem Vertrauen schaffenden Effekt den Bremseffekt auf der Nachfrageseite überkompensieren.
Ach , die Nachfrage ist also nicht so entscheidend? Also unterlassen wir jegliche Marktforschung für neue Produkte und produzieren einfach ins Blaue hinein, weil es die Standortbedingungen schon richten werden? Mit dieser Argumentation könnte man natürlich auch fordern, dass der Staat dann solche Produkte kaufen müsse, wenn die Nachfrage nicht ausreicht. Realistisch, sinnvoll oder auch nur logisch ist dies hingegen nicht. Wahrscheinlich bekommt Hans Tietmeyer die furchtbarsten Albträume, wenn er den Begriff Nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik vernimmt. Aber er hat ja auch schon die Lösung parat: Wenn die Konsolidierungspolitik „richtig“ betrieben werde, könne so der Bremseffekt auf der Nachfrageseite überkompensiert werden. Ich fasse einfach einmal plakativ zusammen, was Tietmeyer meint: „Löhne runter! Baut den Sozialstaat noch weiter ab! Die Menschen müssen für die Wirtschaft da sein! Auch verhungern!“
Tietmeyer weiter:
Damit daraus Zukunftsvertrauen bei den Investoren entsteht, muss deutlich werden, dass dieser Weg konsequent weiter gegangen wird. Nur so kann nachhaltiges Wachstum entstehen. Das ist uns Mitte der 80er Jahren mit der deutschen Angebotspolitik gelungen.
Zukunftsvertrauen? Ist das so etwas wie ein zukünftiger Lotto-Gewinn? Wahrscheinlich. Kann man sich davon etwas kaufen? Nein. Dumm ist nämlich, dass den Investoren, die am anderen Ende des Atlantiks oder der Welt sitzen, die Menschen unseres Landes vollkommen egal sind. Denen ist es ja bekanntlich auch egal, wenn in China Kinder keine Schulbildung bekommen und in Fabriken arbeiten müssen, Arbeiter in unsicheren Bergwerken krepieren oder ganze Landstriche verseucht werden, solange Gewinne und Renditen stimmen. Wer der Politik also empfiehlt, unser Land und unser Volk zur reinen Verfügungsmasse von solchen Unmenschen zu machen, sollte in der politischen Diskussion besser den Mund halten. Den Weg des hemmungslosen Lohndumpings und skrupellosen Sozialraubs „konsequent weiter zu gehen“ würde bedeuten, in Deutschland chinesische Verhältnisse zu fordern. Das würde kein vernünftiger Mensch fordern, der seine Sinne beisammen hat.
Nachhaltiges Wachstum entsteht mit Hans Tietmeyers Vorschlägen natürlich auch nicht. Denn wenn sich eine Volkswirtschaft immer weiter von den Kapitalmärkten, Investoren und Exporten abhängig macht, macht sie auch jegliche Konjunkturentwicklung von diesen Faktoren abhängig. Verfolge ich hingegen eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik, die unter anderem steigende Löhne, die Unterstützung privater Haushalte und stärkere Regulierung bedeutet, erhalte ich eine wachsende Binnennachfrage und damit auch eine steigende Konjunktur, weitgehend unabhängig von der Konjunkturentwicklung weltweit. Ganz davon abgesehen, dass es nichts anderes als sozial ist, wenn die gesamte Gesellschaft in der Breite, also auch die Arbeitnehmer und sogar die Empfänger von staatlichen Hilfsleistungen, immer mehr vom Wirtschaftsergebnis des Landes profitiert. Hans Tietmeyers Vorschläge beschreiben hingegen nur, wie man den Wohlstand unseres Landes so gestaltet, dass er bestmöglich an den Kapitalmärkten im In- und Ausland abgegriffen werden kann.
Ob in den 80er Jahren wirklich eine Angebotspolitik für positive Effekte verantwortlich war, darf bezweifelt werden. Aber dazu werden wir bei nächster Gelegenheit Daten nachliefern. Eigentlich fehlt in Hans Tietmeyers Ergüssen nur noch ein Verweis auf die Vollbeschäftigung der 50er Jahre – gepaart mit der folgerichtigen Forderung nach einem neuen Krieg. Was für Wachstumsraten man wohl wieder weltweit erzielen könnte, wenn man zunächst rund um den Globus alles zerbombt? Damit könnte man sogar gleichzeitig das Renten- und Generationenproblem sowie viele andere Probleme lösen, die aus unserem fehlerhaften Wirtschaftssystem resultieren und teilweise einfach die Folgen von Sättigungseffekten sind. Wenn in diesem Krieg genügend Männer fallen würden, bekämen auch Ehe und Familie wieder neuen Wert, wie es das konservative Lager immer wieder fordert. Soll das unsere Zukunft sein? Nein danke!
Aber ich schließe mich dennoch Hans Tietmeyers Forderung an: Wer einsteckt, muss auch austeilen können. Mindestens seit den 80ern haben die Arbeitgeber Staat und Arbeitnehmer ausgeplündert und mit der Angst vor Arbeitslosigkeit erpresst. Viele Jahre haben alle ordentlich eingesteckt und zurückgesteckt. Nun ist es an der Zeit auszuteilen. Nur einstecken wollen, ohne jemals auszuteilen, das ist unredlich und parasitär.
PS: Dass es mehr als lächerlich wirkt, wenn die INSM ihre Kuratoriums- Mitglieder und Botschafter so interviewt als gehörten sie nicht zur gleichen Mannschaft, brauche ich nicht näher zu erläutern. Möglicherweise entsteht aus dieser permanenten Selbstreferentialität auch deren beschränkte Wahrnehmung unserer Welt und die angebliche Alternativlosigkeit ihrer neoliberalen Konzepte.
[…] guten Artikel im Politblog. Im INSM-Watchblog wird dazu passend die aktuelle INSM-Phrase “Wer einsteckt, muss auch austeilen können” zerpflückt und eine existierende Alternative zum neoliberalen Einheitsbrei aufgezeigt: […]
unglaublich, dass grade leute, die ihren fetten arsch dem staat zu verdanken haben, jetzt einen auf staatsfern machen! dieser tietmeyer ist ja wohl eines der perversesten und asozialsten schw* die es gibt!
@jolly:
Schau Dir doch nur die ganzen Professoren im IW Köln und in vielen anderen sog. Wirtschaftsforschungsinstituten an. Die sind keinen Deut besser. Die werden alle von der Allgemeinheit auf hohem Niveau versorgt, denken wahrscheinlich das falle vom Himmel und dreschen aus ihrem luxuriösen Elfenbeinturm aus auf das Volk ein, während sie abends mit Lobbyisten im Nobel-Restaurants sitzen und Schecks für ihre Funktion als nützliche Idioten in Empfang nehmen, weil sie den Hals nicht voll kriegen. Das scheint eine der Plagen Deutschlands zu sein, dass diejenigen, die den Weg nach oben schaffen, sich nur noch den anderen oben verpflichtet fühlen und nicht mehr der Masse, die ihren Sold bezahlt. Solche Professoren sollte man achtkantig aus der Luxus-Versorgung auf Kosten des Steuerzahlers entlassen. Dann können sie sich wenigstens endlich Vollzeit als wissenschaftliche Mietmäuler an Lobbys und Think Tanks verkaufen. Das muss doch für diese Super- Neoliberalen unerträglich sein, sich als verbeamtete Sozialschmarotzer auf Kosten der Allgemeinheit ein vergnügliches Leben zu machen. Da ist die tatsächliche soziale Hängematte, nicht die darbenden ALG2-Empfänger oder Alleinerziehenden.
Ob Tietmeyer pervers ist, das weiß am besten seine Frau, darüber müssen wir hier nicht spekulieren. Dass er es aber versteht, die von Neoliberalen gewohnt asozialen Forderungen in schicke Worte zu verpacken, das sollte nun wirklich nicht erstaunen. Die werden wohl kaum so blöd sein und überall solche Rhetorik-Legastheniker wie Oswald Metzger platzieren, die als einzige „Verteidigung“ bei Kritik fragen können, ob die Fragesteller von Attac bezahlt seien. Sonst wäre die INSM schon im ersten Jahr abgesoffen.
INSM-Sniper
[…] wollen, dass sie mit immer weniger klar kommen sollen. hier haben wir so einen kandidaten: tietmeyer war mal präsident der deutschen bundesbank. wie ein welteke. so wird auch dieser herr vom staat […]
[…] wurden, während Arbeitgeber und Kapitalisten auf Kosten der Allgemeinheit beschenkt wurden – Umverteilung von unten nach oben. Zuvor war Tietmeyer Präsident der Deutschen […]
[…] (Stichwort “private Vorsorge”) mehren sollen, indem die INSM maßlos gierig immer mehr Umverteilung von unten nach oben fordert, z.B. durch Lohndumping (Kombilöhne, Zeitarbeit, Zwangsarbeit), sozialen Kahlschlag […]